Der Stoff aus dem das Leben ist

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Eine Geschichte aus dem Leben von Ute Kirschbauer.

Im Nachhinein wundert man sich doch! Vor einigen Jahren hatten meine Familie und ich die Nase voll vom Leben in der Großstadt. Wir suchten eine Möglichkeit abzutauchen, auszuspannen, einen anderen Takt ins Leben zu bringen. Wir fanden schließlich ein kleines Tal in der Eifel, einen ehemaligen alten Weiler und einen kleinen Fluss. Wir waren angekommen.

Auch wenn wir nicht direkt am Fluss wohnen, hören wir in den Nächten die Kall rauschen. Am alten Wehr, das seit Jahrhunderten das Wasser staut, sind die schweren Steine längst rund und weich geschliffen. Manchmal kann sich Moos halten. Manchmal verklemmen sich Stöcke und Äste in den Steinen. Dann weicht das Wasser aus und fällt in einer anderen Lücke zwei, drei Meter tief.

Oberhalb des alten Wehrs gleicht das Wasser einem Spiegel. Vor Jahren umgestürzte Bäume ragen empor. Man sieht sie doppelt. Es scheint, als wolle sich hier alles vervielfachen. Auch ich mich selbst. In dieser Ruhe, die mit Händen zu greifen ist, begegne ich mir selbst. Und auch in den Turbulenzen, wenn das Wasser über die alte Staumauer fließt und sich dann in dynamischen Wirbeln wieder in die richtige Richtung fügt, erkennen ich Teile meines Lebens.

Die Urtümlichkeit der Kall rührt viele Menschen. Wer hierher kommt und dem Lauf des Wassers folgt, wer sich direkt am Ufer des Flusses oder getrennt von ihm durch Weiden mit freundlichen Kühen durch die urige Landschaft treiben lässt, erfährt einiges über sich selbst. Oder besser gesagt: der erwandert einiges über sich selbst.

Nur der Fußweg, der Wanderschritt wird der Kall gerecht – und mir! „Vom Wasser haben wir´s gelernt….“ gilt hier ganz besonders. Dieses fast vergessene Wanderlied, meint natürlich mehr als nur eine sportliche Variante der Fortbewegung. Es beschreibt geradezu genial die Möglichkeit, hier aufzutanken. Am Fluss, im Wanderschritt, werden Reserven wieder aufgefüllt und ich finde erneut Zugang zur eigenen Lebensenergie. Hier fließt Energie!

Und diese Energie kann ich nicht nur spüren, sondern vor allem auch hören:

Auf der alten Steinbrücke. Hier rausch es um jeden Kiesel und dieses Rauschen findet sein Echo im gemauerten Brückenbogen. Auf der rechten Seite der Kall laufe ich hoch am Hang mit der Strömung bergab. Der Klang des Wassers umspült mich dabei wie eine Meditationsmelodie. In der alten Furt steh ich, wo früher die Pferdewagen die Kall durchquerten und meine noch den Arbeitstakt von Mensch und Tier zu hören. Weiter flussabwärts stehe ich vor einem alten Mühlrad. Immer klingt das Wasser anders. Aber immer nach Kraft und Energie.

Sicher ist dieser Klang des Wassers keine Wassermusik wie bei Friedrich Georg Händel. Es will sich auch kein barockes Lebensgefühl einstellen. Es ist auch kein großes Orchester nötig. Aber ich höre und ich spüre den Rhythmus und die Melodie des Wassers als meinen eigenen. Eine Tonart und ein Takt, der mir gut tut. Wenn alles so einfach und so selbstverständlich wäre!

In früheren Jahrhunderten diente die Energie des Wassers den Menschen hier zur Arbeit. Dort, wo ich heute zu mir selbst finde, fanden Menschen früherer Generationen Arbeit und der Takt der Eisenhämmer vertrieb die Stille. Der Erholung dient die Kall erst seit einigen Jahrzehnten. Ihre Geschichte und die ihrer Menschen war bis dahin begleitet von Tränen und Schweiß. Umso kostbarer ist mir dieser vom Leben nicht verschonte kleine Fluss. Eben kein barockes Lustspiel, sondern eher eine energische Wanderung mit Höhen und Tiefen.

Übrigens: tief ist die Kall nicht. Nur stille Wasser sind tief? Die Kall ist flach, aber sie ist nicht seicht. Und still, schweigsam ist sie auch nicht. Sie murmelt, plätschert, wispert, rauscht. Sie spricht zu mir. Und was sie erzählt, wovon sie singt, ist mein Leben.

Irgendwann auf ihrem Weg, mündet die Kall in die Rur und viel später auch in den Rhein. Dann hat sie längst Weiden und Wälder verlassen. Dann wird auch ihr Wasser Erfahrung mit Kläranlagen und Uferfiltrat gemacht haben. Mit Dieselmotoren und Hochwasserschutz.

Irgendwann werde auch ich wieder in meinen Alltag münden. Dann werde ich von der Erinnerung leben. An die nackten Füße im Wasser. An die Wasserwirbel im Sonnenschein. An den Kranich in der Flussaue. Aber vorläufig genieße ich das Rauschen und Plätschern der Kall. Vorläufig höre ich zu, lasse mich inspirieren.

Vorläufig genieße ich auch die Besuche im Kallbach, dem Hotel, das diesen Namen zu Recht trägt. Direkt an der Kall gelegen, erfrischt das Wasser hier im Haus nicht nur als Begleiter zu einem schönen Essen, sondern auch bei einem Saunagang oder als Lebenselixier nach einer Wanderung. Obwohl dann vielleicht auch Wein oder Bier eine passende Alternative wären. Wie auch immer: im Kallbach kann jeder nach seinem Gusto die Quellen der Energie entdecken.

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